Kirchenumnutzung - Internationales Forum

Sektion 2

Die Perspektive der Architektur und Stadtentwicklung

Kann das Potenzial des gebauten Sakralraums Hinweise für neue Nutzungskonzepte geben? Kann der Diskurs mit den Nutzern helfen, den Raum neu wahrzunehmen? Welche Bedeutung haben Kirchen für den Ort? Was folgt aus ihrem öffentlichen Charakter?

Glaube an der Peripherie: Entwurfsstrategien für die Umnutzung von Nachkriegs-Kirchen in der flämischen Nebular City

In den Nachkriegsjahren entwickelte sich Flandern zu einer "nebulösen Stadt": Die Region wurde fast vollständig verstädtert und ist heute mit einer allgegenwärtigen Bebauung von geringer Dichte überzogen. Im Zuge dieser raschen Ausdehnung der Vorstädte wurde in ganz Flandern eine große Anzahl von Pfarrkirchen gebaut. Aufgrund ihres Alters, ihres Standorts und ihrer Typologie ist diese Infrastruktur heute mit mehreren gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert. Das Forschungsprojekt Faith in the Periphery betrachtet diese modernen Kirchen als Ressourcen für die zukünftige Stadtentwicklung. Kirchen sind in dieser Hinsicht in der Tat sehr wertvoll: Oftmals strategisch gelegen und mit großen Volumina ausgestattet, spielen sie (noch) eine wichtige Rolle in der lokalen Gemeinschaft als geistiger und geografischer Leuchtturm. Über die bloße Anpassung eines bestimmten Kirchengebäudes an neue funktionale Anforderungen hinaus versuchen wir, ausgewogene Strategien für die adaptive Umnutzung von Kirchen zu entwickeln, die ihre sozial und räumlich strukturierende Kapazität nutzen. Die zugrundeliegende Motivation besteht also darin, einen Beitrag zu der allgemeineren Notwendigkeit zu leisten, die künftige Widerstandsfähigkeit der flämischen "nebulösen Stadt" zu stärken. Wie wir anhand von Beispielen aus Lehre und Praxis veranschaulichen werden, ist die architektonische Gestaltung das richtige Medium, um dieses Potenzial zu identifizieren und zu operationalisieren.

Kirche, Regierung und Bürger, und die Umnutzung von Gotteshäusern

 Albert Reinstra
Name / Titel
Albert Reinstra
Funktion
The Cultural Heritage Agency of the Netherlands, the Netherlands

Seit einigen Jahren arbeiten wir an dem nationalen Programm "Zukunft des religiösen Erbes". In diesem Rahmen wurden die Anzahl, das Alter, die kulturhistorischen Werte und die Wiederverwendung von religiösen Gebäuden in den Niederlanden untersucht. Von den etwa 7100 bestehenden Gebäuden werden 75 % noch immer religiös genutzt, oft in Verbindung mit einer kulturellen/sozialen Nutzung. Die restlichen 25 % haben im Laufe der Zeit eine Vielzahl neuer Funktionen erhalten. Von der Brauerei zum Bed & Breakfast und von der Sporthalle zum Jumpingparadies. Auch mit kirchlichen Richtlinien (die je nach Konfession sehr unterschiedlich sind) oder Denkmalschutzbestimmungen ist oft viel mehr möglich, als man denkt. Eine interessante und akzeptable Umnutzung von Kirchen erfordert jedoch viel Beratung und Kommunikation. Die Unterstützung durch die örtliche Gemeinde ist entscheidend, ebenso wie Offenheit, Wissen und Kreativität bei der architektonischen Gestaltung.

Kirchenumnutzungen aus dem Blickwinkel der Baukultur

 Reiner Nagel
Name / Titel
Reiner Nagel
Funktion
Bundesstiftung Baukultur, Potsdam, Germany

In Deutschland existiert insgesamt ein bemerkenswerter Bestand an Kirchengebäuden – in allen Größen und Siedlungsstrukturen, von der Dorfkapelle über das multifunktionale Gemeindezentrum der Nachkriegssiedlung bis zur großstädtischen Kathedrale. Kirchen sind dabei häufig die maßgeblichen, manchmal einzigen Träger baukultureller Tradition in Dorf und Stadt. Eine Aufgabe der sakralen Nutzung birgt die Gefahr enormer baukultureller Verluste, denn es ist oft schwer, für die großen Versammlungsräume adäquate Konzepte zu finden. Schließungen und Abrisse haben außerdem Folgen für das Sozialgefüge der jeweiligen Quartiere, da damit häufig der Verlust von beispielsweise Gemeindesälen, Bibliotheken oder Kindertagesstätten einhergeht. Aufgrund der geschichtlichen, baukulturellen, sozialen und identitätsstiftenden Qualitäten von Kirchen und Kapellen lohnt sich wie bei kaum einer anderen Bautypologie jede Anstrengung von öffentlicher, kirchlicher und privater Seite, die Gebäude in ihrer kirchlichen Nutzung zu halten oder mit sinnvollen Nutzungen und einer adäquaten Gestaltung weiterzuentwickeln. Aus Sicht von Baukultur ist jede erhaltene Kirche ein Stück gerettete Identität der Europäischen Stadt. Dabei sollten Umbauten nah dem Ursprungszweck und reversibel bleiben.

Englands Kirchen als öffentliches Gut neu denken

 Joseph Elders
Name / Titel
Joseph Elders
Funktion
The Church of England, Cathedral and Church Buildings Division, United Kingdom

In den letzten Jahren wurden in England eine Reihe von Ideen und Modellen erprobt, die darauf abzielen, den Gemeinden und Gemeinschaften die Last der Verwaltung von Kirchengebäuden abzunehmen und ihnen zu helfen, diese auf neue Weise zu nutzen. Das Problem ist natürlich, dass traditionelle Formen des Gottesdienstes an Beliebtheit verloren haben. Die Kirche hat darauf unter anderem mit der Schließung einiger Kirchengebäude reagiert, in denen die Besucherzahlen auf ein unhaltbares Niveau gesunken sind. Gegenwärtig ist die völlige Schließung von Kirchengebäuden für den Gottesdienst eher selten. Von den total 16'000 Kirchen werden pro Jahr ca. 25 geschlossen. Dies ist überschaubar. Im Vortrag wird von der Grundannahme ausgegangen, dass der Verlust einer sehr großen Zahl lokaler Pfarrkirchen potenziell verheerend wäre, und dass nach Wegen gesucht werden sollte, um so viele unserer Kirchen wie möglich als Gotteshäuser und als Ressourcen für die Gemeinschaft zu erhalten, in vielen Fällen durch eine Diversifizierung ihrer Nutzung, die auch radikale Veränderungen beinhalten kann. Ein flexibler Ansatz ist notwendig. Es werden Fallstudien untersucht, wie dies funktioniert hat.

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